20 - jähriger Patient mit Medulloblastom

Medulloblastom
Lebensbericht eines 20-jährigen Patienten
Vorgeschichte
Mein Bericht beginnt im Jahr 2007.
Es war Frühjahr, ich war 20 Jahre alt und machte gerade ein FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) in einem Wohnheim für geistig & körperlich behinderte Menschen. Hierdurch wollte ich Erfahrungen für mein ab Herbst geplantes Sonderpädagogisches Studium gewinnen.
Entstehung
Mitte Mai 2007
Alles fing mit leichten Kopfschmerzen an, die in den nächsten Wochen & Monaten allerdings immer stärker und regelmäßiger wurden. Hinzu kamen mit fortlaufender Zeit Wortfindungsschwierigkeiten. Dennoch versuchte ich meinen Alltag wie gewohnt zu bewältigen.
Anfang Juli :
Ich ging zu einem HNO-Arzt um überprüfen zu lassen, ob die Kopfschmerzen mit einer Infektion zu tun hätten. Er schloss dies aus und riet mir, ein CT von meinem Kopf machen zu lassen.

Es wird ernst
29. Juli 2007 – Montag:
Es wird ein CT im Krankenhaus erstellt. Daraufhin sagte mir der entsprechende Arzt, „er wisse zwar nicht was es sei, aber einen Hirntumor könne er ausschließen“….
02. August 2007 – Donnerstag:
Da es jedoch immer schlimmer wurde und zu meinen stärker werdenden Sprachschwierigkeiten auch Gleichgewichtsprobleme kamen suchte ich einen Orthopäden auf – vielleicht war ja ein Nerv geklemmt. Dieser vermutete eine neurologische Sache und schickte mich in die Neurologie nach Karlsruhe. Dort wurde sofort bei einem erneuten CT ein Tumor im Kleinhirn entdeckt.
Die Diagnose war einerseits zwar erschreckend, aber ich konnte mir nicht wirklich vorstellen was da auf mich zukommen würde.
Man behielt mich gleich im Krankenhaus und aufgrund meines sich jetzt schnell verschlechternden Zustandes musste ich am 04.08.2007 notoperiert werden.
Operation & Diagnose
Die OP dauerte etwa 6h. Um die Zeit kurz davor bzw. kurz danach habe ich jedoch Erinnerungsschwierigkeiten. Ich weiß nur noch: ich erwachte zwar mit unverändertem Geisteszustand, aber mein Körper wollte nicht mehr so recht auf mich hören.
Der Tumor in meinem Kopf konnte vollständig entfernt werden, aber es wurden bei der OP auch gesunde Nervenzellen beschädigt. Die Aussagen des Arztes bereits vor der OP mit möglichen Folgen schienen gänzlich bestätigt. Allerdings klammerten wir uns doch auch an die Option „bis zu einem halben Jahr wird der Körper auf jeden Fall brauchen um sich zu regenerieren. Danach muss man weitersehen.“
Die Folgen waren zunächst:
ich konnte nicht mehr laufen, eine stark verlangsamte und sehr undeutliche Sprache, Doppelbilder in allen Blickrichtungen. Um dem entgegen zu wirken, wurde ein Auge zugeklebt. Ich litt unter starken Muskelkrämpfen. Ich brauchte Hilfe beim Essen, beim Waschen, beim Ankleiden …
Nach etwa 10 Tagen (auf Intensiv- und normaler Station) bekam ich dann die endgültige Diagnose:
Medulloblastom WHO Grad IV , ein bösartiger Tumor im Kleinhirn (der vornehmlich bei Kleinkindern auftritt).
Scheiße, da wird meine Genesung wohl doch ein paar Monate dauern“, waren meine ersten Gedanken.
Anschlussbehandlung/ Therapie
Dies bedeute eine 6 wöchige Chemotherapie mit parallel laufender Strahlentherapie.
Aufgrund meines Alters (noch vor dem 21. Geburtstag) und der Art meines Tumors, wurde ich auf die Kinderstation (Onkologie) verlegt (sehr geräumige Zimmer, meist einzeln, mit prima technischer Ausstattung und eigener Dusche/WC).
Mein Alter war auch der Grund, dass ich sehr interessant für eine bestimmte Studie war (HIT 2000).
Begleitet wurde die Therapie mit starkem Erbrechen, die Bestrahlung verätzte meinen Gaumen und Kehlkopf, sodass mir das Essen Schmerzen bereitete. Es kam zu rapider Gewichtsabnahme.
Nach einer kurzen „Erholungspause“ folgte eine weitere Chemotherapie von 6 Blöcken (1 Block = 3 Wochen Chemo, 3 Wochen Pause). Dies bedeutete zwar eine langsamere/ verzögerte Genesung, dafür jedoch mit der guten Aussicht auf eine endgültige Heilung. Im Sommer 2008 hatte ich bereits 20 kg meines ursprünglichen Gewichts verloren. Deshalb bekam ich eine Magensonde gelegt. Das ist ein dünner Schlauch, der durch die Nase über die Speiseröhre direkt in den Magen führt. Ich wurde von meinen Eltern ein paar Wochen lang jeden Abend in die Klinik gefahren um über Nacht eine Nährlösung zu geführt zu bekommen. Parallel hatten sich durch die lange Chemotherapie nun auch noch meine Venen an den Armen zurückgebildet. Es musste mir also operativ ein Port gesetzt werden, d.h. ein etwa 4cm großes Metallgehäuse wurde mir unterhalb des Schlüsselbeins unter der Haut implantiert. Von ihm führte ein dünner Kunststoffschlauch in die zentralen Venen bis kurz vor dem Herzen. Dies war notwendig geworden um die restliche intravenöse Chemo zu verabreichen.
Begleitet von Therapien und unterbrochen durch kurze medizinische Rehabilitationen beendete ich die Behandlung im November 2008 (15 Monate nach meiner Operation).
Es hatte bis dahin kontinuierliche, aber sehr kleine Verbesserungen meines körperlichen Zustandes gegeben. So konnte ich Strecken von wenigen Metern alleine - und etwas längere Distanzen mithilfe eines Rollators – zurücklegen.
Beruflich
Mein Wunsch im sozialen Bereich tätig werden zu können, erscheint auch bis heute nicht realistisch, da einerseits weiterhin eine Stimm- und Sprechstörung besteht und andererseits die körperliche Balance beim Gehen und vor allem auch beim Tragen noch nicht ganz wieder hergestellt ist. Durch Empfehlung während einer medizinischen Reha habe ich schließlich im Juli 2009 eine Ausbildung zum Bürokaufmann in einer Beruflichen Rehabilitations Einrichtung begonnen.
Zwischenzeitlich
Seit dem Ende meiner Chemotherapie machte ich weiter Fortschritte und es ging mir langsam körperlich besser. Allerdings hatte ich nach wie vor starke Doppelbilder. Ich trug eigentlich immer eine Augenklappe. An das Anschauen von Leuten – vor allem der kleinen Kinder – habe ich mich so allmählich gewöhnt. Ich probierte es auch mit einer einzelnen Verdunklungslinse. Im Januar 2010 ließ ich mich in einer Spezialklinik an den Augen operieren.
Die Folgen waren für mich überraschenderweise sehr positiv – nach den bisherigen sehr langsamen Erfolgen war ich vor der Augen-OP eher skeptisch eingestellt und hatte größere Ängste. Bereits nach einigen Wochen war ein großes Blickfeld entstanden, in dem ich völlig normal sehen konnte; nur noch in einzelnen Blickwinkeln sind die Doppelbilder vorhanden.
Aktuelles oder: Ich bin wieder da?!
Mittlerweile sind über 4 Jahre seit meiner Operation vergangen und ich mache auch nachwievor regelmäßig Physio- und Sprachtherapie.
Eine große Hürde war noch zu nehmen: ich wollte wieder Auto fahren. Aber die dafür notwendigen Gutachten waren sehr schwer zu erhalten: die Ärzte waren selbst unsicher, ob sie mir die Fahrtüchtigkeit bescheinigen können – wo ich doch eigentlich ja den Führerschein habe. Hier waren sehr viele Anrufe und Termine zu tätigen, bei denen mich meine Mutter sehr unterstützt hat.
  1. Nun fahre ich wieder Auto (mit ärztlichen Bescheinigungen und einigen Auffrischungsfahr-stunden);
  2. meine Sprache ist immer noch hörbar eingeschränkt, allerdings bin ich ganz gut zu verstehen;
  3. ich kann wieder eigenständig laufen (noch etwas verlangsamt);
  4. ich übe meinen Lieblingssport Tischtennis wieder aus und
  5. ich werde in wenigen Wochen meine Ausbildung beendet haben – bin also gerade auf Arbeits-platzsuche ;)
  6. Nach Abschluss meiner Prüfung werde ich eine kurze Reha (insgesamt die 6.) speziell für meine Stimme machen.
Fazit/ Anmerkungen
Es war eine sehr schwere Zeit, die mir unendlich zu dauern schien und noch nicht zu Ende ist.
Auch im sozialen Bereich (Unternehmungen mit ehemaligen Freunden) gab und gibt es ebenfalls viele Einschränkungen, da ich etliches nicht mehr mitmachen konnte und kann.
Aber ich gebe nicht auf: „Der Weg ist das Ziel“ und „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker“ – da mag sicher was dran sein!
Ich musste mich neu orientieren, aber nun kann ich den Alltag wieder in den meisten Bereichen bewältigen. Kleinere bis mittlere Einschränkungen sind noch vorhanden (werden wohl auch bleiben). Zwar etwas pessimistisch, aber auch mit Neugierde und Hoffnung blicke ich in die Zukunft.
Ich empfand es als sehr wichtig für mich bestimmte Ziele zu haben. Diese mussten/ müssen aber auch realistisch (bezüglich Zeitraum/ Realisierbarkeit) sein. Und: ich ließ mich von niemanden drängen und wählte meine kleinen Ziele immer selbst.
Es ist von immens großer Bedeutung Menschen zu haben die begleiten und auch unterstützen.
mein Appell an alle Angehörigen & Bekannten von Betroffenen:
Gebt uns nicht auf, wir brauchen euch!